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Mit Martin Luther King für ein anderes Amerika

Von Michael Schmid

King.Bahr.jpgDer Theologe und Friedensforscher Hans-Eckehard Bahr hat ein neues Buch über Martin Luther King herausgebracht. Es ist auch deshalb interessant, weil Bahr durch Zufall - er wurde 1965 zu einer Professur nach Chicago berufen - das große Glück hatte, in Kings Nähe in der Bürgerrechtsbewegung mitzuarbeiten. Die persönlich erlebten Ereignisse dieser Monate haben seine eigene spätere Arbeit bestimmt, sagt Bahr. Und so berichtet er in diesem aktuellen Buch über die dramatischen Lebensstationen Kings, dessen Zivilcourage, seine innere Kraft und sein politisches Schicksal.

Das Buch gliedert sich nach einer lesenswerten Einleitung, in der King mit seiner Gewaltfreiheit und seinen Visionen als ein “Lebensprojekt der Hoffnung - gegen das machtbesessene Amerika” auf die Gegenwart bezogen wird, in drei Hauptkapitel.

Im ersten Kapitel geht es um “Chicago, Sommer 1966”. King war aus den Südstaaten der USA nach Chicago in den “liberalen” Norden übergesiedelt, um auch hier gegen den Rassismus zu kämpfen, gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt. Dadurch stößt auch Bahr auf die Bürgerrechtsbewegung und auf King. Er beschreibt, wie er zum ersten Mal unterwegs ist mit Martin Luther King und was er dabei lernt. Er schildert Erfahrungen mit jungen Leuten, die sich zu neuen aggressiven Jugendgruppen, den “Gangs” von Chicago zusammengeschlossen haben und die nun zum ersten Mal gegen die Lebensbedingungen im Slum aufbegehren. Bahr beschreibt die Wut der jungen Afroamerikaner und wie es King gelingt, die radikalisierten afroamerikanischen Jugendlichen davon zu überzeugen, dass sie auf dem gewaltsamen Weg nicht wirklich weiter kommen. King appelliert an ihre konstruktiven Kräfte, an ihre Verantwortungsfähigkeit, dass sie zeigen sollen, wofür sie leben. Er traut seinen durch die Sklaverei und Rassismus gedemütigten Landsleuten auch das Schwerste zu, nämlich auf Rache zu verzichten, auszusteigen aus dem uralten Mechanismus von Gewalt und Gegengewalt.

Das zweite Kapitel widmet Bahr den Lebensstationen Martin Luther Kings und richtet dabei sein besonderes Augenmerk auf Kings Entwicklung seiner Theorie und Methode der Gewaltfreiheit. Dabei untergliedert er Kings Leben in drei zeitliche Abschnitte und teilt diese nochmals nach inhaltlichen Schwerpunkten ein. In “1929-1963: Von Atlanta nach Washington” wird Kings persönliche Lebensgeschichte von der Geburt, Schulzeit über die Berufung zum Gemeindepfarrer in Montgomery, dem aufsehenerregenden über einjährigen Busboykott, bis zum vorläufigen Höhepunkt seiner Popularität, dem “Marsch auf Washington”, nachgezeichnet. Es werden die Vorbilder seiner Jugendtage und deren Wirkung auf King aufgezeigt: Henry D. Thoreau mit seinem Buch “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat” und insbesondere Mahatma Gandhi als Vorreiter phantasievoller Protestformen hinterlassen nachhaltigen Eindruck auf den jungen King. Geprägt von deren Gewaltfreiheit bekommt er später während des Busboykotts in Montgomery und im weiteren Verlauf der Bürgerrechtsbewegung die Gelegenheit, seine theoretischen Erkenntnisse in der Praxis zu erproben.

“1963-1965: Die großen Freiheitsmärsche” beschreibt Kings Weg vom Widerstand gegen den Rassismus zum scharfen Kritiker jenes Krieges, den sein Land in Vietnam führt. Bahr greift auch Kings Bild vom “Tisch der Brüderlichkeit” auf, an dem alle ihren Platz haben, auch diejenigen von den Hecken und Zäunen, die zunächst gar nicht eingeladen waren. Das gemeinsame Essen mit gesellschaftlich und politisch Unterdrückten, das war keine Herablassung eines Anständigen zu den Armen, “es war in erster Linie eine hochpolitische Handlung, keine karitative”, das war eine einzige Revolte gegen das Todbringende, bei Jesus wie bei King, meint Bahr. King war vom Bürgerrechtler zum Menschenrechtler geworden, die von ihm initiierte Emanzipationsdynamik ermutigte auch andere Gruppen und Milieus, die in den USA für gesetzliche Gleichheit kämpften.

“1966-1967: Kings zweite Rolle” beschreibt den letzten Lebensabschnitt Kings. Entgegen den dringenden Empfehlungen von Freunden aus der Bürgerrechtsbewegung engagiert sich King nun in der Friedensbewegung. Seit März 1966 wird er zum schärfsten Kritiker der Vietnampolitik seines Landes. Er ruft offen dazu auf Gehorsam gegen kriegsorientierte Bundesgesetze zu verweigern. Es zeichnet sich der Weg vom spontanen Protest gegen die Rassendiskriminierung im Süden der USA zu einer organisierten Opposition gegen den Krieg ab. Schließlich hört man King ständig über den Zusammenhang von Rassismus, Armut und Krieg sprechen: “Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Übel des Rassismus, der wirtschaftlichen Ausbeutung und des Militarismus alle zusammenhängen. … Ich bin davon überzeugt, dass unser Volk eine radikale Revolution der Werte vornehmen muß. Wir müssen schnell damit anfangen von einer ?Ding-orientierten’ Gesellschaft zu einer ?Person-orientierten’ Gesellschaft zu kommen. Wenn Maschinen und Computer, Profitbestrebungen und Eigentumsrechte für wichtiger gehalten werden als die Menschen, dann wird das gigantische Trio von Rassenwahn, Materialismus und Militarismus nicht mehr besiegt werden können. Eine echte Revolution der Werte wird den schreienden Gegensatz von Armut und Reichtum angehen müssen.”

Kein Wunder, dass King im Weißen Haus ob solcher Sätze längst zur unerwünschten Person erklärt worden ist. Wenige Monate vor seiner Ermordung plant er einen zweiten “Marsch nach Washington”, dieses Mal, um die amerikanische Nation mit der Armut im eigenen Land zu konfrontieren. Doch Kings Pläne werden zunichte gemacht: am 4. April 1968 wird er ermordet. Danach bricht der “Marsch der Armen” zusammen.

Im dritten Hauptkapitel von Bahrs Buch werden einige sehr wichtige Reden Kings aus seinen letzten Lebensjahren dokumentiert. Es ist gut für das Buch, King hier nochmals ausführlich selber zu Wort kommen zu lassen. Dadurch kann auch die zunehmende Radikalisierung gut nachvollzogen werden.

Hans-Eckehard Bahr hat keine detaillierte Biografie über Kings Leben geschrieben. Vielmehr legt er ein gut lesbares, übersichtlich gestaltetes Buch vor. Dieses enthält außer wichtigen Lebensstationen auch Bahrs eigene Interpretationen von bestimmten Aussagen, Haltungen oder Handlungen Kings.

So beschreibt er beispielsweise, wie er in Chicago von King gelernt hat, dass es zweierlei Modelle des Umgangs mit bedrohlich Fremdem gibt, das entweder einerseits darauf hinausläuft, “Böses mit Bösem zu vergelten”, oder aber andererseits zu einer Überwindung der Gewalt führt, indem darauf gebaut wird, dass auch der andere fühlt und handelt wie ein Mensch. Bahr versteht, dass Gewaltfreiheit nicht einfach “Widerstandslosigkeit gegenüber dem Bösen” bedeutet, sondern “Widerstand ohne Gewalt”. Und er beschreibt, wie er begreift, dass es mit dem freiwilligen Aushalten fremder Gewalt nicht um einen Masochismus geht, sondern dass King damit dem Ohnmächtigen ein neues Gefühl der Würde und Selbstachtung eröffnen möchte. Er sieht, dass “bewusstes Erleiden ohne zurückzuschlagen dem Niedergedrückten Selbstvertrauen vermittelt und die eigene Furchtsamkeit überwinden hilft.”

Interessant und ermutigend sind auch Bahrs Ausführungen darüber, dass Kings Vision einer einzigen Welt-Gesellschaft, die geprägt ist von vielen verschiedenen Kulturen, in unserer heutigen Zeit hochaktuell ist. Insgesamt ein sehr gelungener Einblick in das Leben eines der wichtigsten Menschen des vergangenen Jahrhunderts, dessen Vermächtnis der Gewaltfreiheit es dringend lebendig zu halten und weiter zu entfalten gilt. Denn die Gewaltfreiheit “allein vermag die Menschheit dazu zu führen, dass sie erwachsen wird”, wie Hans-Eckehard Bahr meines Erachtens zurecht feststellt.

Hans-Eckehard Bahr: Martin Luther King. Für ein anderes Amerika. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2004, 159 S, 8,95 ?, ISBN 3-7466-8123-5.

Veröffentlicht am

21. Februar 2005

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