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Medien - schuldig der Täuschung

Von Dahr Jamail - ZNet 15.02.2005

Rom, 14. Februar 2005 (IPS). Ein Volkstribunal hat die westlichen Medien zum überwiegenden Teil schuldig befunden, in ihrer Irak-Berichterstattung zu Gewalt angestiftet und die Leute getäuscht zu haben. Das ‘Welttribunal zum Irak’ (WTI) 1 geht auf eine internationale Volksinitiative zurück, die versucht, die Wahrheit über Krieg und Besatzung im Irak herauszufinden. Nach dreitägiger Verhandlung kam es am Sonntag zur Urteilsverkündung. Zuvor hatte sich das Tribunal die Aussagen unabhängiger Journalisten, Aktivisten, Medienprofessoren sowie die des Europaabgeordneten Michele Santoro angehört.

Das Tribunal von Rom war nicht die erste Verhandlung dieser Art. Zuvor hatte das WTI in Brüssel, London, Mumbai, New York, Kopenhagen, Hiroshima-Tokio, Stockholm und Lissabon getagt. Im Mittelpunkt des Rom-Tribunals stand die Rolle der Medien. Die (informellen) Richter des WTI warfen der Regierung der Vereinigten Staaten und der britischen Regierung vor, die Journalisten an der Ausübung ihrer Pflicht gehindert zu haben. Sie hätten Journalisten dazu gebracht, vorsätzlich Lügen und Desinformation zu produzieren.

Die Richter klagten zudem die westlichen Konzernmedien an, Information gefiltert und unterdrückt zu haben. Unabhängige Journalisten seien marginalisiert und in Gefahr gebracht worden. Im Irak starben in 14 Monaten mehr Journalisten als im ganzen Vietnamkrieg. Das Tribunal stellte bezüglich der Berichterstattung der Mainstream-Medien zum Thema Irak einen Verstoß gegen Artikel 6 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg fest (Rechtsgrundlage zur Verurteilung der Nazi-Verbrechen bei den Nürnberger Prozessen). In Artikel 6 steht:

“Anführer, Organisatoren, Anstifter und Helfershelfer, die an der Fassung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer gemeinsamen Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen 2 teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendwelchen Personen in Ausführung eines solchen Plans begangen worden sind”.

Zu den Richtern des WTI-Gerichtshofs, die die Zeugenaussagen anhörten, zählten Francois Houtart, Direktor des ‘Tricontinental Centre’ in Belgien (das mehrere Volksbewegungen Lateinamerikas unterstützt) und Dr. Samir Amin, Direktor des Third World Forums in Dakar/Senegal. Dr. Haleh Afshar von der University of York/Großbritannien, wo sie Politik und ‘Women’s Studies’ lehrt sowie der italienische Autor und Zeitungsverleger Ernesto Pallotta waren als Zeugen anwesend.

“Dies ist nicht nur einfach eine Ãœbung, bei der die Mainstream-Medien für ihre Einseitigkeit und Inkompetenz gescholten werden”, so Menschenrechtsaktivist Dr. Tony Alessandrini, der mehrere Artikel über die amerikanische Kolonialisierung des Irak verfasste. “Diese Schelte gibt es seit Monaten. Hier in Rom müssen wir (einen Schritt) weiter gehen”. Dr. Alessandrini ist einer der Organisatoren des WTI. Er sagt: “Es wird an uns herangetragen, wir sollten uns nicht nur Gedanken über die Einseitigkeit der Medien machen sondern vor allem über deren aktive Komplizenschaft bei Verbrechen, die gegen die Menschen im Irak verübt wurden und tagtäglich verübt werden”.

Die Aussagen einiger Fachleute gingen hart zur Sache. So die von Dr. Peter Philips, der das ‘Project Censured’ an der Sonoma State University in Kalifornien leitet. Er sprach seine Aussage auf Band. Dr. Philips lehrt zum Thema ‘Zensur in den Medien’. Er sagt, nie seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts waren die USA einem “institutionalisierten Totalitarismus” so nahe wie heute. Dr. Philips: “Die Gesellschaft der USA ist zur schlechtinformiertesten Gesellschaft der Welt, aber mit dem besten Entertainment geworden”.

Auch Dr. David Miller, Verfasser des Buchs ‘Tell Me Lies: Propaganda and Media Distortion in the Attack on Iraq’, sagte in Rom aus: “Es geht darum zu verurteilen, dass der Journalismus zum Komplizen von Kriegsverbrechen geworden ist”. Dr. Miller ist Ko-Editor von ‘Spinwatch’, einer Gruppe, die PR und Propaganda genauer unter die Lupe nimmt. Miller: Das Pentagon “erkennt das Konzept des freien Journalismus nicht an, denn (freie Journalisten) stellen unfreundliche Informationen bereit”. Die Mainstream-Medien Amerikas und Großbritanniens “waren Komplizen, als es darum ging, die Invasion und die nach wie vor andauernde Okkupation zu verkaufen. Sämtliche durchgeführten Studien über die Mainstream-Medien belegen die Dominanz der Regierungspolitik, und die Berichterstattung der britischen TV-Medien in Kriegszeiten war generell regierungsfreundlich…”

Seine Aussage vor dem Tribunal von Rom machte auch Fernando Suarez, der seinen Sohn Jesus bei der Irak-Invasion verlor. Suarez sagte aus, sein Sohn sei auf eine illegale amerikanische Clusterbombe getreten. Und er sagte aus, das Pentagon habe ihm zunächst mitgeteilt, sein Sohn sei an einem Kopfschuss gestorben; dann wurde Suarez gesagt, sein Sohn sei Opfer eines Unfalls geworden. Schließlich hieß es, er sei in “freundlichem Feuer” (friendly fire) gefallen. Bei der Untersuchung der Leiche hatte Suarez festgestellt, Jesus starb infolge einer Clusterbombe, auf die er getreten war. “Sie haben mir nie die Wahrheit gesagt”, so Fernando Suarez. “Aber ich habe die Wahrheit herausgefunden - eine sehr simple Wahrheit. Am 26. März warf die Armee 20.000 Clusterbomben über dem Irak ab, von denen nur rund 20 Prozent explodierten. Die übrigen 80 Prozent liegen in den Städten und Schulen, sie wirken wie Minen”. Und Suarez fügt hinzu: “Bush schickte meinen Sohn, er sagte, der Irak sei im Besitz illegaler Waffen. Mein Sohn starb an einer illegalen amerikanischen Waffe, aber keiner redet darüber. Die Medien möchten nicht über die illegalen amerikanischen Waffen reden”.

Zudem gab es verschiedene Zeugenaussagen zur Mediendesinformation bei der Belagerung Falludschas. Die Zeugen hatten mehrere Kopien des preisgekrönten Dokumentarfilms ‘Weapons of Mass Deception’ (Massentäuschungswaffen) von Danny Schechter dabei. Der Journalist und Filmemacher ist leitender Direktor von Mediachannel.org, einem Online-Netzwerk zum Thema Medien. Alessandrini sagt, die Beweise für eine aktive Komplizenschaft der Mainstream-Medien bei den Verbrechen gegen das irakische Volk, beim Verbrechen der Täuschung und der Verhetzung seien erdrückend. “Wir gehen bei unserer Arbeit von der Voraussetzung aus, dass sich die Geschichte der Verbrechen, die die USA gegen das irakische Volk verüben, erinnern wird. Es ist unsere Aufgabe, diese Verbrechen festzuhalten, um sicherzustellen, dass sie sich niemals wiederholen”.

Anmerkungen:

1 Siehe hierzu www.iraktribunal.de (Anmerkung der Ãœbersetzerin)

2 Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Quelle: ZNet Deutschland vom 18.02.2005. Ãœbersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Media Held Guilty of Deception”

Veröffentlicht am

18. Februar 2005

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