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Warnung vor Straftaten strafbar? Ein Aufruf zur Befehlsverweigerung und die Reaktion von Bundeswehr und Justiz

In einem Aufruf an Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33 (Büchel) wird gegen die völker- und grundgesetzwidrige nukleare Teilhabe der Bundeswehr” argumentiert. Die Bundeswehrsoldaten werden darauf hingewiesen, dass sie als Soldaten an Völkerrecht und Grundgesetz gebunden sind und dem entgegenstehende Befehle nicht befolgen dürfen. Statt diesem Verdacht der bundesdeutschen Beteiligung an völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Handlungen nachzugehen oder zumindest den Aufruf als Ausdruck der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) zu tolerieren, hat das Amtsgericht Cochem einen Strafbefehl über 900 Euro (30 Tagessätze) erlassen. Es ist davon auszugehen, dass es zu weiteren Strafverfahren zumindest gegen die Verteiler eines weiteren Aufrufs kommen wird. Ob möglicherweise auch gegen sämtliche Unterzeichner des Aufrufs Ermittlungsverfahren eingeleitet werden (so wie dies auch in Berlin während des Kosovo-Krieges aufgrund eines ähnlichen Verweigerungsaufrufs geschehen ist), bleibt abzuwarten.

Michael Schmid

Aufruf zur Befehlsverweigerung an Bundeswehrsoldaten in Büchel verteilt

Aktionsbericht zur einer Gewaltfreien Aktion am Atomwaffenlager Büchel

Von Hermann Theisen

Im Rahmen einer Gewaltfreien Aktion haben am 8. Juni 2004 die Friedensaktivisten Hanna Jaskolkski (Erftstadt), Martin Otto (Wetzlar), Wolf-Dieter Wiebach (Berlin), Dr. Wolfgang Sternstein (Stuttgart) und Hermann Theisen (Heidelberg) am Fliegerhorst im rheinland-pfälzischen Büchel an die dort stationierten Bundeswehrsoldaten einen Aufruf zur Befehlsverweigerung verteilt. Dieser war folgendermaßen überschrieben: “Aufruf an alle Bundeswehrsoldaten des Jagbombergeschwaders 33 (Büchel): Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe!”. Unterschrieben wurde der Aufruf von bisher 38 Personen als Erstunterzeichner bzw. Unterstützer, die ein breites Spektrum der bundesdeutschen Friedensbewegung abdecken (siehe unten).

Ziel des Aufrufs war, an die in Büchel stationierten Bundeswehrsoldaten zu appellieren, von ihrer Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe abzulassen, um damit ihrer rechtsstaatlichen Verantwortung Rechnung zu tragen. Mit der Bereithaltung von Kampflugzeugen, um mit diesen im so genannten Ernstfall US-amerikanische Atombomben einzusetzen, verstößt die Bundeswehr gegen das Völkerrecht, unsere Verfassung sowie den Nichtverbreitungsvertrag.

Die Bundeswehr nahm die Verteilung der Aufrufe zum Anlass, unmittelbar darauf folgend, das Haupttor für sämtliche Fahrzeuge zu sperren und den Militär- und Zivilverkehr auf ein anderes Tor umzuleiten. Diese rigide Maßnahme, die insbesondere von Zivilisten, die einfahren wollten, auf Unverständnis stieß, hatte möglicherweise auch damit zu tun, dass an diesem Tag die Sicherheitsstufe Alpha galt. Einzelne Soldaten, die in ihren Fahrzeugen angesprochen wurden, ließen sich auf ein Gespräch über die Hintergründe unserer Aktion ein, jene Soldaten die ihren Dienst am Haupttor verrichteten, nahmen zwar den Aufruf an, verweigerten aber zugleich jegliches Gespräch darüber.

Gefahr in Verzug und Beschlagnahme des Aufrufs

Nach etwa einer halben Stunde erschien ein Kriminalbeamter der Polizeidirektion Cochem, die von der Bundeswehr über die Aktion unterrichtet worden war. Er bat um Überlassung eines Aufrufs und teilte mit, dass er das weitere Vorgehen nun auf seiner Dienststelle besprechen wolle. Nach etwa einer weiteren Stunde erschien ein Zivilfahrzeug mit zwei Kriminalbeamten, die zunächst das Geschehen vor dem Haupttor aus der Distanz beobachteten, um kurz darauf mitzuteilen, dass die Aufrufe beschlagnahmt werden müssten. Die sei von dem zuständigen Oberstaatsanwalt Schmengler (Staatsanwaltschaft Koblenz) angeordnet worden, da er den Tatbestand der Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) als erfüllt betrachte. Der Aufruf sei ihm per Fax übermittelt worden und daraufhin sei die unmittelbare Beschlagnahme angeordnet worden, da Gefahr in Verzug bestehe. Die Beschlagnahme wurde wenig später vom Amtsgericht Cochem bestätigt (Verdacht: Öffentliche Aufforderung zu Straftaten nach dem Strafgesetzbuch in Verbindung mit der Aufforderung zur Gehorsamsverweigerung, Ungehorsam, Meuterei, Verabredung zur Unbotmäßigkeit, Eigenmächtiger Abwesenheit und Fahnenflucht nach dem Wehrstrafgesetz). Hiergegen wurde das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt.

Drohende Strafverfahren wegen Aufforderung zu Straftaten

Oberstaatsanwalt Schmengler war es auch, auf dessen Bestreben bereits aufgrund eines Verteilens des Aufrufs im März dieses Jahres der Erlass eines Strafbefehls beantragt worden ist. In diesem Ermittlungsverfahren hat das zuständige Amtsgericht Cochem bereits angekündigt, dem Antrag der Staatsanwaltschaft (30 Tagessätze) zu folgen und den Strafbefehl zu erlassen (siehe unten Presseinformation “Mit Strafbefehl gegen Atomwaffengegner”).

Insofern ist davon auszugehen, dass es beim Amtsgericht Cochem zu entsprechenden Strafverfahren - zumindest gegen die Verteiler des Aufrufs - kommen wird. Ob möglicherweise auch gegen sämtliche Unterzeichner des Aufrufs Ermittlungsverfahren eingeleitet werden (so wie dies auch in Berlin während des Kosovo-Krieges aufgrund eines ähnlichen Verweigerungsaufrufs geschehen ist), bleibt abzuwarten.

Nachfolgend dokumentieren wir den Aufruf in Auszügen.

Der Aufruf an alle Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33 (Büchel) beginnt mit der Aufforderung:
“Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe!”

Dann wird Walter Kolbow, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium mit einem Zitat aus einer Antwort zu einer schriftlichen Anfrage zum Thema Atomwaffen in Deutschland vom Februar 2004 wie folgt zitiert:

“Das gemeinsame Bekenntnis der Bündnispartner zur Kriegsverhinderung, die glaubwürdige Demonstration von Bündnissolidarität und das nukleare Streitkräftepotenzial erfordern auch in Zukunft die deutsche Teilhabe an den kollektiven nuklearen Aufgaben. Dazu gehören die Stationierung von verbündeten Nuklearstreitkräften auf deutschem Boden, die Beteiligung an Planung, Konsultationen sowie die Bereitstellung von Trägermitteln.”

Die Bundeswehrsoldaten werden darauf hingewiesen:

“Auf Ihrem Bundeswehrstützpunkt findet diese nukleare Teilhabe statt:
Es sind auf Ihrem Arbeitsplatz US-amerikanische Atombomben stationiert, und Sie stellen mit der Wartung, Instandhaltung, Einsatzübung und Bereithaltung Ihrer Tornado-Kampfflugzeuge die Trägermittel bereit, um im so genannten Ernstfall jene Atombomben einzusetzen. Ein solcher Ernstfall könnte künftig auch ein Präventivschlag sein, schenkt man dem Anfang des vergangenen Jahres vom Pentagon veröffentlichten Grundsatzdokument zur militärischen Nuklearstrategie Glauben, welches Planspiele für den präventiven Einsatz von Atomwaffen gegen mindestens sieben Länder, darunter Russland, China, Libyen, Syrien bzw. die so genannte ‘Achse des Bösen’: Irak, Iran und Nordkorea, enthält. (Bernard Lown, Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges, im April 2003)

Zudem entschied der US-Kongress im November 2003, das Verbot für den Bau von Mini-Atombomben aufzuheben, womit die Ära einer neuen Generation von Atomwaffen eingeläutet worden ist, und gleichzeitig hält die NATO weiterhin an der Ersteinsatzoption von Atomwaffen fest. Auf diesem Hintergrund sollten Sie Ihre Unterstützung der nuklearen Teilhabe neu bewerten und dabei bedenken:

Verstoß gegen Völkerrecht und Grundgesetz:

  • A. Die Stationierung von Atomwaffen auf Ihrem Militärflugplatz steht nicht in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996. Sie ist völkerrechtswidrig.
  • B. Die durch Ihre berufliche Tätigkeit praktizierte nukleare Teilhabe verstößt (spätestens im Kriegsfall) gegen die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 2 Nichtverbreitungsvertrag. Sie ist völkerrechtswidrig.
  • C. Die Stationierung von Atomwaffen auf Ihrem Militärflugplatz und Ihre Einbindung in die nukleare Teilhabe verstoßen gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2, Satz 1 Grundgesetz). Beides ist verfassungswidrig.

Eine Beteiligung und Unterstützung der nuklearen Teilhabe ist somit nicht zu rechtfertigen!”

Dann werden die Soldaten des Jagdbombergeschwaders aufgerufen, konsequent Ihre entsprechenden Einsatzbefehle zu verweigern, sich gegen jegliche Unterstützung der nuklearen Teilhabe aufzulehnen und ihre Kameraden zu ermutigen, sich Ihrem Ungehorsam anzuschließen!

Schließlich werden die Soldaten noch darauf hingewiesen, dass 1998 in einer repräsentativen Umfrage des forsa-Instituts 93 Prozent der Befragten der Auffassung zustimmten: “Atomwaffen sind grundsätzlich völkerrechtswidrige Waffen und sollten weder produziert noch gehortet werden dürfen.” Und 87 Prozent der Befragten bejahten die Forderung: “Die Bundesregierung sollte dafür sorgen, dass die auf deutschem Boden gelagerten Atomwaffen umgehend beseitigt werden.”

Folgende ErstunterzeichnerInnen haben den Aufruf unterschrieben: Dr. Franz Alt, Baden-Baden; Inge Ammon, Fürstenfeldbruck; Martin Arnold, Essen; Gregor Böckermann, Frankfurt am Main; Michael Bouteiller, Lübeck; Dr. Erika Drees; Stendal; Dr. Bernd Drücke, Münster; Regina Hagen, Darmstadt; Dr. Eva Huenges, Villingen-Schwenningen; Hanna Jaskolski, Erftstadt; Elisa Kauffeld, Schortens; Dr. Elke Koller, Laubach-Leienkaul; Marion Küpker, Hamburg; Armin Lauven, Bonn; Dr. Till Müller-Heidelberg, Bingen; Martin Otto, Wetzlar; Hanno Paul, Bünde; Clemens Ronnefeldt, Waldkirch; Michael Schmid, Gammertingen; Martin Singe, Bonn; Ilse Staude, Staufenberg; Dr. Wolfgang Sternstein, Stuttgart; Dr. Elke Steven, Köln; Hermann Theisen, Heidelberg; Konstantin Wecker, München; Prof.Dr. Joseph Weizenbaum, Berlin; Wolf-Dieter Wiebach, Berlin; Renate Wieland, Kronberg

Als UnterstützerInnen stehen bisher unter dem Aufruf: Dietrich Antelmann, Berlin; Irene Breiter, Aarbergen; Ulrich Denkhaus, Wetzlar; Hans Karl vom Dorp, Leun; Gert Knauder, Wetzlar; Karlheinz Lipp, Coburg; Jutta von Ochsenstein-Nick, Mutlangen; Ernst von der Recke, Schöffengrund; Thomas Reuter, Brombachtal; Wolfgang Schlupp-Hauck, Schwäbisch Gmünd; Richard Steinhauser, Sigmarszell; Sabine Teubert, Leipzig

Wer über den weiteren Verlauf der Ermittlungsverfahren bzw. über den Aufruf informiert werden möchte, wende sich an: Hermann Theisen, Moltkestraße 35, 69120 Heidelberg (Mail: Hermann.Theisen@t-online.de)


Presseinformation des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Mit Strafbefehl gegen Atomwaffengegner

Einen Strafbefehl des Amtsgerichts Cochem erhielt jetzt Hermann Theisen (Heidelberg), weil er im März 2004 einen Aufruf an alle Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33 (Büchel)” (Rheinland-Pfalz) verteilt hat, für den er auch presserechtlich verantwortlich zeichnet.

In dem inkriminierten Aufruf wird gegen die völker- und grundgesetzwidrige nukleare Teilhabe der Bundeswehr” argumentiert. Gemäß dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996 und nach Artikel 2 Nichtverbreitungsvertrags sei die Stationierung von Atomwaffen und die Bereitstellung von Trägermitteln in der Bundesrepublik Deutschland völkerrechtswidrig. Die nukleare Teilhabe” verstieße zudem gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2, Satz 1 GG), sei folglich verfassungswidrig. Die in Büchel stationierten Bundeswehrsoldaten werden aufgefordert, sich nicht an der Wartung, Instandhaltung, an Einsatzübung und Bereithaltung der Tornado-Kampfflugzeuge zu beteiligen, insoweit sie als Trägermittel dem Einsatz von Atombomben dienten. Sie werden darauf hingewiesen, dass sie als Soldaten an Völkerrecht und Grundgesetz gebunden sind und dem entgegenstehende Befehle nicht befolgen dürfen.

Statt diesem Verdacht der bundesdeutschen Beteiligung an völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Handlungen nachzugehen oder zumindest den Aufruf als Ausdruck der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) zu tolerieren, erlässt das Amtsgericht Cochem einen Strafbefehl über 900 Euro (30 Tagessätze). Alle nur denkbaren Verstöße gegen das Wehrstrafgesetz werden hier unter den Vorwurf des Aufrufs zu rechtswidrigen Taten summiert: eigenmächtige Abwesenheit (§ 15), Fahnenflucht (§ 16), Ungehorsam (§ 19), Gehorsamsverweigerung (§ 20), Meuterei (§ 27) und Verabredung zur Unbotmäßigkeit (§ 28).

Nach dem Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien standen von Ende 1999 bis Mitte 2001 schon einmal 40 Angeklagte vor Berliner Gerichten, weil sie die Soldaten aufgefordert hatten, sich nicht an einem menschenrechts-, grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Krieg zu beteiligen. Letztendlich sprach das Kammergericht Berlin sie vom Aufruf zu Straftaten frei, der Aufruf sei vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Ein Amtsrichter sprach damals mit der Begründung frei, dass der Krieg rechtswidrig gewesen sei. Zu hoffen wäre allerdings, dass nun die Gerichte nicht nur wegen Meinungsfreiheit freisprechen, sondern endlich die rechtswidrige nukleare Teilhabe” zum Gegenstand von Prozessen machten.

Der Aufruf wurde bisher von 38 Personen als Erstunterzeichner bzw. Unterstützer unterzeichnet und ein weiteres Mal, am 8. Juni 2004, vor dem Fliegerhorst Büchel verteilt. Auch deswegen ermittelt die Staatsanwaltschaft Cochem.

Presseerklärung vom 12.07.2004
gez. Dr. Elke Steven, Komitee für Grundrechte und Demokratie

Veröffentlicht am

14. Juli 2004

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