Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Gazaer packen ihre Habseligkeiten und fliehen

Von Amira Hass - ZNet 18.05.2004

Rafah. Gestern Abend wimmelte es in den Straßen Rafahs von Pferdekarren, Trucks und Pickups. Alle waren bis zum Anschlag beladen mit jedem nur erdenklichen Gut, den die Bewohner aus ihren Häusern fortschaffen konnten - Matratzen, Wassertanks (von den Dächern heruntergeholt), Kleidung, Decken, Türen und Fenstern, die man aus den Angeln hob, abgebauten Betten und Klos, Schulbüchern, Abdeckungen aus Blech und Asbest, Kinderwagen, Kühlschränken, Gaskanistern und vielem mehr.

Dies betrifft alle, die 300 m und weniger von der ägyptischen Grenze entfernt wohnen bzw. den Stellungen und Maschinengewehren der IDF (Israelische Armee), alle, die mitansahen mussten, wie IDF-Bulldozer die Häuser ihrer Nachbarn dem Erdboden gleichmachten, alle, die ihre Häuser noch nicht vollständig ausgeräumt hatten, es noch nicht konnten, alle, die nahe jenem Schauplatz wohnten, wo letzten Mittwoch ein APC der IDF in die Luft gesprengt wurde - all diese Menschen packen jetzt hastig ihre Habe zusammen. Als man mit Beladen fertig ist, setzen sich die Frauen in die Eingänge ihrer Heime - auf Betonblocks oder Plastikstühle, und sehen den Fahrzeugen nach, wie sie Richtung Norden rollen, in Viertel, die weit weg liegen von den Bulldozern.

Auch die Familien, die am Wochenende wegen der Häuserdemolierungen den Obersten Gerichtshof (Israels) anriefen, haben gestern ihre Häuser geräumt. Am Samstag hatte der Oberste Gerichtshof noch eine “gerechtfertigte einstweilige Verfügung” erlassen, die die IDF davon abhielt, “geplante Demolierungen von Häusern irgendeines der Antragsteller durchzuführen”. Danach hatten sich einige schon wie begnadigt gefühlt. Einer der Antragsteller, ein großer Mann, war in aller Öffentlichkeit und ohne Scham in Tränen ausgebrochen, als er von der Verfügung des Obersten Gerichthofs hörte. Gestern Morgen allerdings hatte das Gericht die Anträge eiligst zurückgewiesen.

Jetzt begriffen die Antragsteller, es war besser, wenigstens das Inventar der Häuser in Sicherheit zu bringen. So wie Massad und Ahlam Kishta und Fauzi a-Sha’ar, die zu zwei Antragsteller-Parteien gehören. Sie leben in der Abu-Jamal-Straße, zwischen Salah-a-Din-Straße und Harakevet-Straße, direkt unter den Augen des Termit-Außenpostens der IDF. Gestern gegen 18 Uhr waren ihre Häuser praktisch leer. Die Kishta- und die a-Sha’ar-Familie sind zwei alteingesessene Sippen hier in der Gegend und zählen nicht zu den Flüchtlingsfamilien. Ihre Häuser sind auf privatem Grund errichtet, der ihnen gehört. Vor 40 oder 50 Jahren hatten sie hier noch Gemüse und Wassermelonen angepflanzt. Der Vater der Kishta-Familie kam 1956 in die Region.

In den 80gern hatten die Kishtas für die größerwerdende Familie - nach und nach - ein Haus aus Beton gebaut. Die Kishta-Familie hat es aufgegeben zu zählen, wie oft IDF-Bulldozer - unterstützt durch Panzer, APCs und Helikopter - in ihrer Gegend Häuser zerstörten; vielleicht fünf-, vielleicht sechsmal. Einmal zerstörte ein Bulldozer sogar ihr Schlafzimmer. Von dort haben sie jetzt einen Blick auf die Mauer aus Stahl, die die Armee entlang der Grenze errichtet, Termiten-Außenposten genannt, nackte Häuser aus Beton und zwischen den Sanddünen Trümmerhaufen. Letzten Donnerstag waren Kugeln und Granaten in die Mauern des Hauses ihres Sohns Abed eingeschlagen und hinterließen Löcher.

Donnerstag und Freitag wurden weitere Häuser der Kishta-Sippe demoliert - als APCs, Panzer und Helikopter die Gegend überfielen. Eine Rakete wurde auf eine Gruppe Frauen abgefeuert; sieben Tote. Die Bewohner Rafahs wehren sich vehement gegen die IDF-Behauptung, die Armee habe es auf bewaffnete Palästinenser abgesehen. Menschenrechtsorganisationen in der Stadt sagen, bei den Getöteten handle es sich um Zivilisten. “Vor zwei Jahren haben sie mir mein erstes Haus überm Kopf abgerissen”, sagt eine der Töchter der a-Sha’ar-Familie. “Diesmal bin ich, kaum dass ich sie kommen hörte, geflohen”.

Und ein weiteres Familienmitglied: “Die IDF sagt, sie würde nur leere Häuser zerstören. Zuerst jagen sie uns mit schwerem Feuer aus dem Haus. Dann können sie es zerstören, es ist ja leer. Oder sollen wir etwa im Haus bleiben - während sie es mit Granaten beschießen -, damit sie es nicht zerstören?”

Ein Gerücht, das letzte Nacht verbreitet wurden: Die IDF plant, die Straße zwischen Gaza-Stadt und Rafah für die kommenden drei Tage abzuriegeln. Von einigen Leuten wird das als Zeichen gewertet, dass das Zerstörungswerk weitergeht - im Schutze des Blackouts der gesamten Welt.

Quelle: ZNet Deutschland vom 19.05.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Gazans Pile Up Their Belongings And Flee” .

Veröffentlicht am

19. Mai 2004

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von