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Vanunu: Das schreckliche Geheimnis

Von Uri Avnery

In der Dunkelheit eines Kinosaales hört man eine Frauenstimme: “He! Nimm deine Hände weg! Nicht du! Du!” Dieser alte Witz illustriert die amerikanische Politik, wenn es sich um Atomwaffen im Nahen Osten handelt. “He, ihr da, der Irak, der Iran und Libyen macht Schluss damit! Nein, Israel, du nicht!”

Die Gefahr der Atomwaffen war der Hauptvorwand für den Einfall im Irak. Der Iran wird bedroht, um ihn zu zwingen, seine nukleare Aufrüstung zu stoppen. Libyen hat aufgegeben und ist dabei, seine nuklearen Installationen zu demontieren.

Und wie ist es mit Israel? In der vergangenen Woche wurde klar, dass die Amerikaner bei der Schaffung von Israels “nuklearer Option” volle Partner sind.

Wie wurde dies entlarvt? Mit der Hilfe von Mordechai Vanunu natürlich. Während der Woche fand rund um den Gefangenen, der am Mittwoch entlassen wurde, ein Festival statt.

Das Sicherheitsestablishment hörte nicht auf, ihn zu schikanieren, selbst dann nicht, nachdem er 18 Jahre im Gefängnis saß, 11 davon in vollständiger Einzelhaft - eine Behandlung, die er nach der Entlassung als “grausam und barbarisch” beschrieb. Nach seiner “Entlassung” wurden ihm strenge Beschränkungen auferlegt. (Es ist ihm verboten, das Land zu verlassen, er darf sich nur in einer Stadt aufhalten, darf nicht in die Nähe von Botschaften oder Konsulate gehen, darf nicht mit Ausländern reden, darf kein Handy benützen und nicht im Internet surfen) All diese Beschränkungen beruhen auf Notstandsbestimmungen aus der britischen Kolonialzeit, die von den Führern der jüdischen Gemeinschaft damals “schlimmer als die Nazigesetze” verurteilt wurden.

Beschränkungen? - Gott bewahre - nicht etwa wegen Rachegelüsten. Die Sicherheitsdienste erklären von jedem Podium, dass dies keine Rache für die Blamage sei, die Vanunu den Sicherheitsdiensten zugefügt habe. Es sei auch keine weitere Verfolgung, sondern im Wesentlichen eine Sicherheitsmaßnahme. Es darf ihm nicht erlaubt werden, das Land zu verlassen oder mit Ausländern zu sprechen, weil er im Besitz von Geheimnissen sei, die die vitale Sicherheit des Staates gefährdeten.

Man kann sich denken, dass er keine Geheimnisse mehr hat. Was kann ein Techniker nach 18 Jahren Gefängnis noch wissen, während der die Technologie sich mit Riesenschritten weiterentwickelte? Doch nach und nach wird deutlich, wovor sich das Sicherheitsestablishment wirklich fürchtet. Vanunu ist in der Lage, die enge Partnerschaft mit den USA bei der Entwicklung von Israels nuklearer Rüstungsindustrie aufzudecken.

Dies beunruhigt Washington so sehr, dass die im Außenministerium verantwortliche Person für “Waffenkontrolle”, der Unterstaatssekretär John Bolton, aus diesem Anlass höchst persönlich nach Israel kam. Vanunu scheint der riesigen Supermacht schweren Schaden zufügen zu können. Aber die Amerikaner wollen nicht so wie die Dame im dunklen Kinosaal erscheinen. (Übrigens ist dieser Bolton ein leidenschaftlicher Unterstützer der zionistischen Neo-Konservativen, die eine zentrale Rolle im Bush-Theater spielen. Er widersetzt sich der Waffenkontrolle der USA und seiner Satellitenstaaten und wurde selbst gegen den Wunsch des Außenministers im Außenministerium angestellt).

In der kurzen Ansprache, die Vanunu direkt nach seiner Entlassung gegenüber den Medien halten konnte, machte er eine seltsame Bemerkung: die junge Frau, die vor 18 Jahren als Köder für seine Entführung diente, war keine Mossad-Agentin, wie allgemein vermutet wurde, sondern eine Agentin FBI oder des CIA. Warum war es für ihn so wichtig, dies zu enthüllen?

Vom ersten Augenblick an gab es um die ganze Vanunu-Affäre etwas Seltsames. Mein erster Gedanke war, dass er ein Mossad-Agent sei. Alles deutete darauf hin. Denn, wie kann man die Tatsache erklären, dass es einem einfachen Techniker gelungen war, einen Fotoapparat in die geheimste und geschützteste Einrichtung Israels zu schmuggeln und, ohne anscheinend daran gehindert zu werden, Aufnahmen zu machen? Wie kann man erklären, dass jene Person als Student der Be’er Sheva Universität bekannt war, zur extremen Linken zu gehören und seine freie Zeit mit arabischen Studienkollegen verbrachte? Wie konnte man ihm erlauben, mit Hunderten von Photos, das Land zu verlassen? Wie konnte er zu einer britischen Zeitung gelangen und britischen Wissenschaftlern Material übergeben, das sie davon überzeugte, dass Israel 200 Atombomben hat?

Ist das nicht absurd? Aber es ist logisch für den, der vermutet, dass Vanunu von Anfang an im Auftrag des Mossad handelte. Seine Enthüllungen gegenüber der britischen Zeitung verursachten der israelischen Regierung nicht nur keinen Schaden, sondern im Gegenteil, stärkten Israels Abschreckung ohne Zutun der Regierung, die weiterhin in der Lage war, alles abzuleugnen.

Was folgte, verstärkte nur die Vermutung. Während er in London mitten in der Kampagne der Enthüllungen war und wusste, dass ein halbes Dutzend Geheimdienste jede seiner Bewegungen beobachtete, begann er eine Affäre mit einer fremden Frau, wurde dazu verführt, mit ihr nach Rom zu kommen, wo er gekidnappt und nach Israel transportiert wurde.

Wie naiv kann man sein? Kann eine vernünftige Person, in solch eine primitive Falle geraten? Natürlich nicht. Das bedeutet, dass die ganze Sache nichts anderes als ein klassisches Täuschungsmanöver war.

Aber als die Geschichte weiterging und die Einzelheiten der jahrelangen täglichen Misshandlungen des Mannes bekannt wurden, musste ich die erste Theorie aufgeben. Ich musste mich der Tatsache stellen, dass unsere Sicherheitsdienste noch dümmer waren, als ich vermutet hatte (ich konnte nicht glauben, dass dies möglich sei.) und dass all dies tatsächlich geschehen war und dass Mordechai Vanunu eine aufrichtige und idealistische, wenn auch ziemlich naive Person war.

Ich zweifle nicht daran, dass seine Persönlichkeit von seinem familiären Hintergrund geprägt war. Er kam aus einer kinderreichen Familie, der es in Marokko einigermaßen gut ging, aber in Israel in einem primitiven “Übergangslager” lebte, bevor sie nach Be’er Sheva zog und dort in armen Verhältnissen lebte. Trotzdem gelang es ihm, an die Universität zu kommen und seinen Magister zu machen, durchaus eine Leistung. Er litt aber anscheinend an der anmaßenden Haltung und den Vorurteilen seiner aschkenasischen Kollegen. Das brachte ihn zweifellos in extrem linke Kreise, wo solche Vorurteile nicht herrschten.

Der Haufen “Sicherheitskorrespondenten” und anderer Kommentatoren, die an den Eutern des Sicherheitsestablishments hängen, haben schon verbreitet, dass Vanunu “alle möglichen Dinge phantasiert” - was mit der langen Einzelhaft zusammenhinge - er selbst aber sei davon überzeugt. Nun neige er dazu, “alle Arten von Märchen zu erfinden”. Das bedeutet wohl die amerikanische Verbindung.

Auf diesem Hintergrund kann man plötzlich all die scharfen Beschränkungen verstehen, die auf den ersten Blick absolut idiotisch aussehen. Die Amerikaner jedenfalls sind sehr beunruhigt. Die israelischen Sicherheitsdienste müssen nach ihrer Pfeife tanzen. Mit allen verfügbaren Mitteln muss verhindert werden, dass die Welt von den Lippen eines glaubwürdigen Zeugen vernimmt, dass die Amerikaner volle Partner beim Atomwaffenprogramm Israels sind, während sie behaupten, der Weltpolizist zu sein, der die Weiterverbreitung der Atomwaffen verhindert.

Und die Dame schrie: “Nicht du! Du!”

Quelle: www.uri-avnery.de . Erstellt am 24.04.2004. Übersetzt aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.^

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Veröffentlicht am

25. April 2004

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