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DaimlerChrysler und die toten argentinischen Gewerkschafter

Von Andrea Noll - ZNet Kommentar 19.03.2004

Zuerst die gute Nachricht: am 28. November 2003 erließ das Amtsgericht Nürnberg-Fürth Haftbefehl gegen den früheren argentinischen Staatspräsidenten / Ex-Militärjuntachef Jorge Videla, den früheren Oberbefehlshaber der Marine Emilio Massera und den früheren Chef des 1. Heerescorps Carlos Guillermo Sarez Mason.

Die schlechte Nachricht: die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat die Strafermittlungen gegen den früheren Daimler-Benz-Werksleiter Juan Tasselkraut eingestellt. Der Deutsch-Argentinier Tasselkraut war Leiter der Mercedes-Fabrik in Gonzalez Catan, 40 km außerhalb Buenos Aires, von wo 1976 und 1977 mehrere Arbeiter spurlos “verschwanden”. Einer der seither Vermissten ist Esteban Reimer, ein Argentinier mit deutschem Pass. Mercedes-Mutterkonzern war Daimler-Benz - heute DaimlerChrysler. Tasselkraut wird verdächtigt, mit der argentinischen Militärjunta kooperiert zu haben - was indirekt auch Daimler ins Spiel bringt. Die Militärs kidnappten / töteten mehrere Mitglieder einer linken, unabhängigen, von der Belegschaft gewählten Gewerkschaft (“Gruppe der Neun” oder “Interne Kommission”) des Mercedes-Werks Catan. Die Gewerkschafter “verschwanden” in den ersten beiden Jahren der argentinischen Militärjuntas (1976 - 1983). In jenen blutigen Jahren wurden zahlreiche Gewerkschafter, Intellektuelle, Journalisten und Linke von den argentinischen Militärs gefoltert, als Geiseln genommen, eingesperrt und/oder getötet.

“Ein Terrorist ist nicht einfach jemand mit einem Gewehr oder einer Bombe sondern auch jemand, der Gedankengut verbreitet, das sich gegen die westliche und christliche Zivilisation richtet”, Jorge Rafael Videla.

Argentinien 1976. Militärputsch. Das Parlament wird aufgelöst, die wichtigsten Institutionen des Landes militärischem Befehl unterstellt, die Mitglieder des Obersten Gerichts nach Hause geschickt und Präsidentin Isabel Peron auf eine Militärbasis verschleppt. Die erste Junta besteht aus der Trias: General Videla, Admiral Massera und Brigadegeneral Agosti (inzwischen verstorben). Offiziell begründet wird der Putsch mit einer “Bedrohung” durch linke Guerilla-Gruppen (Montoneros und PRT-ERP). Die Zahl der bewaffneten Guerilleros lag zwischen 1.500 und 2.800. Als die blutige Herrschaft der Juntas zu Ende ging, hatte das Militär über 30.000 Menschen getötet. Brigadegeneral Iberico Manuel Saint Jean, damals Gouverneur von Buenos Aires, bringt es auf den Punkt: “Erst werden wir die Subversiven töten, dann ihre Kollaborateure, dann ihre Sympathisanten, danach die Indifferenten und zum Schluss die Lauen”. Hitler hätte sein Faschismus-Konzept in keine besseren Worte fassen können.

Die Machtübernahme durch das argentinische Militär erfolgte am 24. März 1976. Einige Monate zuvor hatte man im Mercedes-Werk Catan 118 Gewerkschaftsaktivisten gekündigt. Die Belegschaft trat in Streik. Nach 24 Tagen gab Mercedes nach und nahm die Entlassungen zurück. Die Guerilla-Gruppe Montoneros war auf den fahrenden Zug aufgesprungen und hatte den deutschen Mercedes-Produktionsleiter Heinrich Metz entführt. Durch ein Lösegeld von mehreren Millionen kam Metz wieder frei. Angesichts dieser Ereignisse dürfte Daimler-Benz nicht allzu unglücklich über das harte Vorgehen der Militärs gegenüber der Guerilla gewesen sein - oder über die Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften. Streiks galten ab sofort als “terroristische Akte” und waren strikt verboten. Mitglieder der unabhängigen Gewerkschaft im Werk Catan wurden verhaftet bzw. entführt. Mindestens 14 Männer sind seitdem spurlos verschwunden. Inzwischen spricht einiges dafür, dass Daimler - einer der wichtigsten ‘Global Players’ immerhin - nicht nur nichts gegen die Entführung (bzw. Ermordung) dieser Mitarbeiter einzuwenden hatte sondern eine aktive Rolle dabei spielte.

“Der systematische Verstoß gegen Menschenrechte rührte nicht von ?Exzessen? einiger sadistischer Militäroffiziere, sondern ist Resultat einer wirtschaftlichen Logik. Die Unternehmen waren es, die von diesen Verbrechen profitierten, auch wenn sie sich die Hände nicht direkt schmutzig machten. So war es der Industrie, zusammen mit ausländischen Konsortien, möglich, Profite in astronomischer Höhe zu akkumulieren”, Gaby Weber (1)

Die “verschwundenen” Arbeiter von Mercedes-Catan verschwanden zwischen Dezember 1976 und Herbst 1977. Einige wurden nachts aus ihren Betten geholt - wie Esteban Reimer, einer der beiden Sprecher der “Gruppe der Neun” -, andere wurden am Werkstor von Zivilpolizei abgefangen, einige sogar im Werk direkt verhaftet. Zu Letzteren zählt Hector Ratto, einer der wenigen Überlebenden: “… am 12. August 1977 sollte Hector Ratto verhaftet werden, um Aufruhr zu vermeiden, nicht - wie Martin - am Arbeitsplatz, sondern am Werkstor. Doch die Polizisten nahmen nicht Hector Ratto gefangen sondern Juan Jose Ratto. Auf dem Werksgelände stülpten sie ihm eine Kapuze über den Kopf und fesselten ihn, bis sie ihren Irrtum erkannten. Aber da war Hector Ratto schon in der Fabrik, erinnert er sich. “Werksleiter Tasselkraut bat mich in sein Büro, wo zwei Polizisten in Zivil warteten. Sie wollten mich mitnehmen (…) Tasselkraut wollte Unruhe im Betrieb vermeiden und verzögerte meine Festnahme. Erst am Abend kamen zwei Lastwagen des Heeres und nahmen mich mit”, so Ratto später ( www.labournet.de/branchen/auto/dc/ila1.html ).

Die Tatsache, dass Rattos Verhaftung nicht ohne Aufsehen über die Bühne ging, rettete ihm vermutlich das Leben. Er verbrachte anderthalb Jahre im Gefängnis und kam erst im März 1979 frei. 1985 machte Ratto vor einem argentinischen Gericht eine Zeugenaussage (Prozess gegen ehemalige Junta-Mitglieder). Dort sagte er aus, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie Mercedes-Werksleiter Juan Tasselkraut Name und Adresse des Kollegen Diego Nunez an die Zivilpolizisten aushändigte. Nunez “verschwand” in derselben Nacht wie Ratto - um nie wieder aufzutauchen. Allem Anschein nach händigte Mercedes ‘schwarze Listen’ mit den Namen unabhängiger Gewerkschafter an das Militär aus - was einer aktiven Rolle beim “Verschwinden” der Gewerkschafter gleichkäme. Die Tatsache, dass ein Polizeikommissar namens Ruben Lavallen, der aktiv an Verhören und Folterungen von Entführten beteiligt war, später (1978) Sicherheitschef von Mercedes Argentinien wurde, spricht in diesem Zusammenhang für sich. “Das Unternehmen hat über alles Bescheid gewusst, was das Militär tat”, so ein Zeuge. Bei der Staatsanwaltschaft Buenos Aires ist ein Strafverfahren gegen DaimlerChrysler und die damalige Leitung anhängig. Zudem läuft vor der Berufungskammer des Landgerichtes in La Plata, Argentinien, ein sogenannter ‘Wahrheitsprozess’. Im Januar 2004 reichten Angehörige von 14 Opfern in den USA Entschädigungsklage gegen DaimlerChrysler ein. In Deutschland ist DaimlerChrysler - vorerst - aus dem Schneider.

‘O lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz!’ (Janis Joplin)

Heutzutage werden die berühmten Limousinen der Marke Mercedes weltweit als Statussymbole der Upper- und Upper-Middle-Class gehandelt. Zwischen 1933 und 1945 setzten die Nazis die Protzkarossen mit dem Stern bei ihren Paraden und “Aufmärschen” ein. “Räder müssen rollen für die Sieg”, proklamierte Hitler - und startete den Zweiten Weltkrieg. Nicht wenige dieser Räder trugen den Mercedes-Stern auf ihrer Radkappe. Es waren - unter anderem - diese Räder, mit denen die Wehrmacht die Welt überrollte. Der britische Historiker Neil Gregor veröffentlichte vor einigen Jahren ein sehr interessantes Buch: ‘Daimler-Benz in the Third Reich’ (Deutscher Titel: ‘Stern und Hakenkreuz’). Darin schreibt er, die deutschen Daimler-Werke produzierten “Motoren für Militärflugzeuge und andere kriegsspezifische Produkte”.

Aber Daimler war auch an der Ausbeutung von Zwangsarbeitern beteiligt. Gregor: “Das Unternehmen nutzte Arbeit, unter anderem Sklavenarbeit, als Substitut für Kapitalinvestition”. Daneben, so Gregor, “konservierte” Daimler “seine ausgebildete deutsche Arbeiterschaft”, “konzentriert in seinen westdeutschen Werken…” - einige dieser Arbeiter waren meine Verwandten. Ich stamme aus dem Herzen Daimler-Deutschlands, dem schwäbischen Südwesten, wo selbst die Uhren nach “Daimlerzeit” gestellt sind. Die Menschen in der Region Stuttgart sind wirtschaftlich abhängig vom ‘Großen Stern’. Wirtschaftliche Abhängigkeit führt zu Identifikation - was mich an Michael Moores Film ‘Roger & Me’ erinnert. Darin karikiert Moore die Pseudo-Symbiose seiner Heimatstadt Flint mit General Motors (‘Roger & Me’ ist eine echte Synekdoche [pars pro toto], die verdeutlicht, wie einseitig die Abhängigkeit ziviler Gemeinden von Großkonzernen ist - in einer kapitalistischen Umwelt. Moore bringt das metaphorisch glänzend auf den Punkt).

DaimlerChrysler ist eines der größten Industriekonglomerate Europas. Wer hätte das gedacht, als Gottlieb Daimler im Jahr 1882 sein erstes “Fabrikle” in Stuttgart Bad Canstatt eröffnete, um Motoren zu produzieren. Ab 1886 baute er die ersten Automobile. Daimlers traditioneller Stammsitz ist Stuttgart-Untertürkheim. In den 60gern und 70gern kamen junge “Gastarbeiter” aus EG-Ländern und der Türkei nach Deutschland und verstärkten die Reihen der regionalen Arbeiterschaft im Daimler-Stammwerk Sindelfingen (Sindelfingen ist unser “Flint”. In den Nachkriegsjahrzehnten galt Sindelfingen neben Rüsselsheim [Opel!] als “reichste Stadt Deutschlands”. Selbst die Sindelfinger Zebrastreifen waren aus Carrara-Marmor. Das hat sich geändert. Inzwischen zahlt DaimlerChrysler kaum noch Steuern und ist fleißig dabei, seine Belegschaften aktienfreundlich zu “verschlanken”. Auch Sindelfingen muss die [soziale] Zeche der verschlankten Jahre zahlen).

Daimler-Benz war bereits 1970 ‘Global Player’ - mit Werken von Südafrika bis Lateinamerika. Zur selben Zeit, als im argentinischen Mercedes-Werk Catan die unabhängige Gewerkschaft unter die Militärstiefeln geriet, ging es den Daimler- Gewerkschaftern im deutschen Stammland noch verhältnismäßig gut. Sie befanden sich sozusagen im Zenit ihrer Macht. Anders die Situation in Argentinien: Das dortige Mercedes-Management akzeptierte nur SMATA (Argentinische Automobilarbeitergewerkschaft). SMATA galt (damals) als “loyal”, um nicht zu sagen kriecherisch. Im Falle der “verschwundenen” argentinischen Gewerkschafter spielte SMATA eine häßliche, zumindest passive, Rolle. Die unabhängigen Gewerkschafter waren SMATA schlicht zu militant. “SMATA tat nichts, die Mitglieder der ‘Gruppe der Neun’ zu schützen”, schreibt Gaby Weber (‘Mercedes Benz: Industry and Human Rights’ www.labournet.net/world/0104/benz1e.html ). SMATAs Rolle - auch heute noch heißumstrittenes Thema im IMB (InternationalerMetallgewerkschaftsbund), siehe www.labournet.de/branchen/auto/dc/ar/rodrigez.html und www.labournet.de/branchen/auto/dc/ar/ehemal-d.html . Auch auf dem 3. Weltsozialforum waren SMATAs Verstrickungen ein Thema, über das diskutiert wurde.

Während in Mercedes-Catan also die Arbeiter “verschwanden” und das Militär die unabhängigen Gewerkschaften systematisch zerschlug, spielte Daimler im Heimatland den ‘guten Kapitalisten’ - mit hohen Löhnen, Antirassismus- und Antidiskriminierungs-Reglements, mit Arbeitsbedingungen, die als vorbildlich galten und einer (vorgegaukelten) Jobsicherheit von der Lehre bis zur Rente. Die Interessen von Privatkonzernen und ihren Belegschaften seien - auch im Kapitalismus - durchaus in Einklang zu bringen, hieß es. Wozu Sozialismus, wenn Unternehmer mit sozialem Gewissen das gut, ja sogar besser hinkriegen, so das Credo der Kalten Krieger. Die westdeutsche Qualitätsmarke Mercedes war zum (antikommunistischen) Symbol für Massenwohlstand, zum Symbol für Luxus-Kapitalismus mit sozialem Antlitz geworden.

Edzard Reuter: Demokrat und Sozialist

Edzard Reuter ist der Sohn des berühmten Westberliner Nachkriegs-Bürgermeisters Ernst Reuter. Anlässlich dessen 50. Todestags veranstaltete der Berliner Senat eine Gedenksitzung, auf der Reuter junior eine Rede hielt, die manchem sauer aufgestoßen sein dürfte: Wie sein Vater sei auch er “Demokrat und Sozialist”, so Edzard Reuter (siehe Reuter-Interview im ‘Neuen Deutschland’ vom 14/15 Februar 2004: ‘Zwischen Turbo-Kap und Ich-AG’). Edzard Reuter war Daimler-Benz-Chef 1987 - 1995. Diese Tatsache spiegelt eindrucksvoll, welches Image für Daimler auf dem Spiel steht - das eines “Volkskonzerns” nämlich, der sich (vorgeblich) sozialen und demokratischen Werten verpflichtet fühlt. Natürlich startete auch Daimler in den 90gern Downsizing-Programme. Mittlerweile steht dem Konzern kein verkappter “Sozialist” wie Edzard Reuter mehr vor, sondern der neoliberale ‘Jarhead’ Jürgen Schrempp. Daimler-Benz fusionierte mit Chrysler zu DaimlerChrysler, was einiges an Veränderung mit sich brachte. Der Autogigant DaimlerChrysler - ein Schwergewicht unter den ‘Global Players’ - interessiert sich inzwischen mehr für Aktien- als für soziale Werte. Dennoch - der (profitable) Mythos vom Volkskonzern, er wird eisern verteidigt.

Als Daimler Ende der 90ger in die Schusslinie geriet und man dem Autokonzern vorwarf, in den 70gern mit der argentinischen Militärjunta paktiert zu haben, ging der Konzern in die Offensive. Daimler heuerte einen scheinbar integeren, über alle Zweifel erhabenen Mann an, der die Reputation des Konzerns retten sollte: Prof. Christian Tomuschat von der Humboldt-Universität Berlin - ein renommierter Völkerrechtler und ehemaliger Leiter einer UN-‘Wahrheitskommission’ in Guatemala. Im Dezember 2003 stellte Tomuschat seinen Bericht vor - der einer (Fast-)Reinwaschung für Mercedes gleichkam. Ja, es hätte in der Zeit der Juntas Kontakte zwischen dem Mercedes-Management und staatlichen argentinischen Geheimdiensten gegeben. Somit sei das Bild “nicht frei von Flecken”, so Tomuschat. Andererseits sei in keinem der zehn (Menschenrechtsorganisationen sprechen von 14) Fälle von verschwundenen (toten!) Mercedes-Belegschaftsmitgliedern eine Anstiftung durch das Management belegbar. Das bezweifle ich.

Image-Probleme

Aber selbst diese schreckliche Geschichte hat noch ihre positive Seite. In Argentinien kämpfen Ex-Mercedes-Arbeiter, Familienangehörige von Verschwundenen, Anwälte, Gerichte und NGOs seit Jahrzehnten um Aufklärung der Geschehnisse von 1976/77. Aber auch in Deutschland ist massive Solidarität mit den “verschwundenen” Mercedes-Arbeitern spürbar. Viele Gruppen und Einzelpersonen bemühen sich, Licht ins Dunkel der Affäre zu bringen - so die Journalistin Gaby Weber, die mit ihren mutigen Radio- und Fernseh-Beiträgen und einem Buch (‘Die verschwundenen von Mercedes-Benz’ (1) viel Beweismaterial beigesteuert hat. Der ‘Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.’ (RAV) stellte bereits 1999 in Deutschland Strafanzeige gegen Juan Tasselkraut sowie unter anderem gegen die “damaligen Verantwortlichen bei Mercedes Benz / heute Daimler Chrysler im Muttersitz des Konzernes in Untertürkheim/Deutschland” ( www.labournet.de/branchen/auto/dc/strafarg.html ). Nicht zu vergessen die “kritischen Aktionäre” DaimlerChryslers, die dem Daimler-Management seit Jahren “lästige” Fragen stellen, und nicht zu vergessen die kritischen Daimler- Arbeiter, Gewerkschafter / einzelne Gewerkschaftsgruppen und linke Organisationen, wie LabourNet, die seit Jahren auf Aufklärung drängen. Im Mai 2002 hat Winfried Wolf von der PDS im Deutschen Bundestag eine Anfrage gestellt (“Zusammenarbeit deutscher Firmen mit der damaligen Militärjunta in Argentinien” Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Winfried Wolf und der Fraktion der PDS, Drucksache 14/9145, 14. Wahlperiode 16.05.2002). Die toten Arbeiter von Mercedes-Catan - sie sind unvergessen. Wie oben erwähnt hat das Amtsgericht Nürnberg-Fürth inzwischen Haftbefehl gegen Mitglieder der damaligen Junta-Führung in Argentinien erlassen. Familienangehörige der Verschwundenen reichten im Januar in den USA Zivilklage gegen DaimlerChrysler ein. Die Akten sind also noch längst nicht geschlossen.

Global Players, Global Killers

Die “verschwundenen” argentinischen Mercedes-Arbeiter - sie sind nicht das einzige Image-Problem für DaimlerChrysler. Man denke nur an die Verstrickung des Konzerns in das damalige südafrikanische Apartheidsregime. Zudem gilt Daimler als Waffenproduzent / -händler ersten Ranges (der Konzern ist Hauptaktionär bei der europäischen Rüstungsschmiede EADS und nimmt wesentlichen Einfluss auf die Rüstungsprogramme der Bundeswehr und anderer EU-Armeen.) Derzeit ist DaimlerChrysler an circa 150 (!) laufenden deutschen Rüstungsvorhaben beteiligt. Nicht zu vergessen DaimlerChryslers mega-ehrgeiziges Aerospace-Programm. DaimlerChrysler gilt als insgesamt wichtigster und politisch einflussreichster Konzern Deutschlands.

Das Maut-Desaster: Begonnen hatte alles so schön. Inzwischen steckt das prestigeträchtigste PPP-Projekt (PPP = Private Public Partnership) Deutschlands mit seinem Betreiberkonsortium DaimlerChrysler, Deutsche Telekom und Cofiroute in der technologischen Sackgasse. Ein satellitengestütztes Mauterfassungssystem - ‘Toll Collect’ - sollte installiert werden, um den Schwerlastverkehr gebührenpflichtig zu erfassen. Inzwischen sollte man wohl eher von ‘Tax Collect’ sprechen - Steuerkollekte - schließlich bleiben voraussichtlich wieder die braven deutschen Steuerzahler auf dem Löwenanteil der Kosten - rund 1,5 Milliarden Euro - sitzen (2). Als Starttermin für das größenwahnsinnige Maut-Projekt war ursprünglich 2003 vorgesehen. Bislang hat das Projekt allerdings nichts eingebracht - außer Hohn und Spott. Das Image des “guten Sterns auf allen Wegen” hat eine Delle.

Amerikanischen LeserInnen dieses Commentary empfehle ich nachzuforschen: Welche Rolle spielte die US-Regierung in den Jahren der argentinischen Junta? Welche Rolle spielte Ford Argentina?

Anmerkungen
(1) Gaby Weber ist eine in Argentinien/Uruguay lebende deutsche Journalistin und Autorin des Buchs: ‘Die Verschwundenen von Mercedes-Benz’ (erschienen 2001 bei Assoziation a). Ein Doku-Video Webers zum selben Thema trägt den Titel ‘Wunder gibt es nicht’. Weitere Informationen unter: www.labournet.de/branchen/auto/dc/ar/ und www.labournet.de/branchen/auto/dc/ar/swf.html

(2) Nach Fertigstellung dieses Commentary ergab sich Anfang März folgende Neuregelung zwischen der Deutschen Regierung und dem Toll-Collect-Betreiberkonsortium: Neuer Mautstarttermin ist der 1. Januar 2005 (allerdings nur für Toll Collect light; eine volle satellitengestützte Erfassung sei technisch erst ab 2006 realisierbar). Ab 2006 soll Toll Collect voll für eventuell zu verantwortende weitere Verzögerungen bzw. Mautausfälle haften. Bei Mautausfällen im Jahr 2005 würden sich Staat und Betreiberkonsortium noch in den finanziellen Schaden teilen. Für die (sicheren) Ausfälle 2003/2004 gilt neu: die Hälfte der entgangenen rund 2 Milliarden soll die Deutsche Bahn begleichen - indem sie Kredite des Bundes früher zurückzahlt -, die andere Hälfte Toll Collect (Vertragsstrafen, Schadensersatzleistungen), allerdings vorbehaltlich einer Schiedsgerichtsentscheidung, die frühestens in einigen Monaten ergeht. Wait and see…

Quelle: ZNet Deutschland vom 19.03.2004.

Veröffentlicht am

19. März 2004

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