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Kaffee und staatliche Autorität in Kolumbien

Von Frank Josh - ZNet 04.01.2004

Die globale Kaffeeindustrie ist in den vergangenen 50 Jahren kolossalen Änderungen unterzogen worden. Die Kaffeebohnenproduktion hat sich zugleich von Staat zu Staat unterschiedlich entwickelt. Der Konsum des Produkts hat zudem exponentiell zu den Eröffnungen riesiger Einzelhandelsfilialen wie Starbucks oder Seattle’s Best zugenommen. Doch nicht alle Teile der Produktionskette haben gleichberechtigt von diesem Wachstum profitiert. Ganz im Gegenteil, die kleinen Kaffeebauern mussten enorme Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wird die Umweltzerstörung weiter vorangetrieben, indem alte Wälder in der Hoffnung gerodet werden, dass das Land in fruchtbaren Boden umgewandelt und anschließend zum Anbau von wirtschaftlich ertragreichen Pflanzen genutzt werden kann. Staaten haben außerdem ihre gesamte Exportindustrie aufgeben müssen, weil multinationale Konzerne die Gebiete nach den günstigsten Bohnen durchpflügten. Und kein Staat hat die vernichtenden Auswirkungen dieser Veränderungen deutlicher zu spüren bekommen als Kolumbien.

Mitte der 1970er Jahre machte Kaffee 50% der legalen kolumbianischen Exporte aus. Während des weltweiten Tobens, als an jeder Straßenecke der industrialisierten Welt die besagten Einzelhandelsfilialen entstanden, erreichte Kolumbiens Kaffeeindustrie jedoch ihren Tiefpunkt. Seit 1995 litt die kolumbianische Kaffeebohnenindustrie außerordentlich. Der Anteil an den legalen Exporten sank von 50% auf 7%. Viele Bauern verließen das Land, viele stiegen auf den Anbau anderer, lukrativerer Pflanzen wie Koka und Mohn um. Und heute hat Öl Kaffee nunmehr als das Exportgut Nummer eins verdrängt, obwohl in der Kaffeeindustrie immer noch die meisten ArbeiterInnen beschäftigt sind.

Während der späten 1960er bis in die 1970er erzielten die KaffeefarmerInnen in Südamerika die höchsten Preise, ein Pfund Kaffee von den kolumbianischen Feldern kostete damals im Durchschnitt drei U.S. Dollar. Bis zum Oktober 2001 fiel der Preis pro Pfund hingegen auf 0,62 U.S. Dollar.

Zu jener Zeit wurde der Markt von der Kolumbianischen Kaffeevereinigung (FNC) reguliert, einer quasi-Gewerkschaft, die die KaffeeproduzentInnen vertrat.

Die Organisation wurde 1928 gegründet und entwickelte sich schnell zu einer politischen Stimme für die ländlichen Bauern, die einzeln nur über eine geringe Schlagkraft verfügten und nur minimalen Zugang zu den entscheidenden politischen FunktionsträgerInnen besaßen. Während diesen lukrativen Jahren konnten nahezu alle Kaffeebauern von ihrer Arbeit leben. Die Landwirtschaft war das Geschäft, an dem man beteiligt sein musste, um sich einen guten Lebensstandard in Kolumbien leisten zu können. Nichtsdestotrotz dauerten die goldenen Jahre nicht lange an.

Die FNC verlor seit den 1970ern beständig ihre einst prächtige Machtposition. Die weltweiten Anforderungen, die oft als neoliberales Modell beschrieben werden, haben die kolumbianische Kaffeegemeinschaft nach und nach durch verschiedene Handelsfaktoren auseinander brechen lassen. Dieses Wirtschaftsmodell bezieht sich auf die alte Bedeutung des Wortes “liberal”, das die Billigung eines freien Markt Systems mit einschließt. In diesem Rahmen werden wirtschaftspolitische Maßnahmen wie die Deregulierung von Wirtschaftsbereichen, Privatisierungen und die vollständige Ablehnung jedweder staatlicher Aufsicht und Besteuerung durchgesetzt, die in den USA auch unter dem Begriff Clintonomics zusammengefasst werden.

Als immer mehr und mehr Bauern in den 70ern begannen, Kaffeebohnen zu produzieren (Schätzungen pendeln zwischen 750.000 und 900.000 für das Jahr 1972), gingen die Preise allmählich zurück. Über 200.000 Farmen fielen diesem Wettlauf bis Mitte der 90er zum Opfer, als die Überproduktion in Kolumbien ihren Höchststand erreichte. Doch nicht nur Kolumbien stellte zu viele Bohnen her. Ende des Jahres 2001 wurde berichtet, dass 60 Staaten der Welt 132 Millionen Pfund Kaffee produzierten, weltweit aber nur 108 konsumiert würden.

Die Ideologie des freien Marktes bestimmte schließlich in den 80ern den internationalen Kaffeehandel. Die größten, multinationalen Käufer wie Nestlé, Philip Morris, Proctor and Gamble unterboten sich gegenseitig bis ans untere Ende der Preiskette. Sie versuchten Gewinne zu erzielen indem sie die günstigsten Bohnen kauften, die auf dem Markt erhältlich waren. Kolumbien blieb bei diesem Wettlauf auf der Strecke, da es für die hohe Qualität und den guten Geschmack seiner Bohnen traditionell bekannt war/ist. Die Produktionskosten waren zudem für einen Staat der Dritten Welt relativ hoch. Die traditionell große Macht der FNC hat darüber hinaus den Lebensstandard der geschätzten 560.000 Kaffeebauern Kolumbiens deutlich verbessert. Jede noch so kleine Veränderung der Kosten pro Pfund hätte/hat sich dementsprechend auf den Lebensstandard ausgewirkt.

Trotzdem diktierte der Neoliberalismus den nächsten Sieger in der Welt des Kaffees. Nach dem Frieden von Paris 1973 schob sich Vietnam als potentieller Massenproduzent von Billigkaffee in den Blickpunkt. Die Arbeitskräfte in den ländlichen Gebieten Vietnams waren schon seit jeher billig; 1980 verdiente ein Bauer durchschnittlich 0,09 U.S. Dollar am Tag. Das Klima ist außerdem ideal, um Kaffeebohnen anzubauen, und der Weltmarkt wartete bereits darauf, diese Vorzugskonditionen ausbeuten zu können.

VertreterInnen des freien Marktes argumentierten in diesem Fall sicherlich, dass dies ein Beispiel für das Verhalten von Angebot und Nachfrage sei. Die weltweite Nachfrage boomte, so dass die KäuferInnen das gute Recht besäßen, die besten und günstigsten Produktionsmittel in Anspruch zu nehmen. Und dennoch verkennt dieses Modell die verheerenden Auswirkungen solcher Politik auf die kleinen Bauern in Kolumbien und sonstwo. Die Zahlen belegen die neoliberalen Konsequenzen mit ernüchternder Offenheit.

Bis 1999 stieß Vietnam in die Top-Drei der weltweiten Kaffeeproduzenten vor. Vietnam war gleichauf mit Kolumbien, das als zweitgrößter Produzent 12 Millionen Pfund im Jahr herstellte, und musste sich nur Brasilien geschlagen geben. Doch nur ein Jahrzehnt zuvor war Vietnam praktisch noch ein unbeschriebenes Blatt im globalen Kaffeezirkus.

Während das neoliberale Modell einige GewinnerInnen hervorgebracht hat, hat es viele VerliererInnen zurückgelassen. Transnationale Konzerne und GourmetkaffeehändlerInnen verzeichneten Rekordgewinne, als die Preise pro Pfund sanken. Die größten Gewinner sind die Einzelhandelskette von Starbucks und der größte multinationale Kaffeekäufer Nestlé. Während der Saldo dieser Unternehmen beständig steigt, verstärkt sich die Armut in den abgegrasten Ländern. Der internationale Kaffeepreis hat mittlerweile einen 35jährigen Tiefstand erreicht. Die vergangenen drei Jahre waren infolge eines Preissturzes von 50% die härtesten auf dem globalen Markt. Wenn man zudem die Inflationsraten berücksichtigt, sind die Preise niedriger als jemals zuvor in der Geschichte.

Gegenwärtig hat Kolumbien Auslandsschulden in Höhe von 34 Milliarden U.S. Dollar. Und der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank bestimmen, wie Kolumbien die fälligen Raten am besten zurückzahlt. Doch die Schulden haben das Land gezwungen, die Produktion von Exportgütern auszudehnen, um harte Währungen [westliche, vorzugsweise U.S. Dollar oder Euro; Anm. d. Ü.] einzunehmen. Diese Ausdehnung hat unter andrem zu der Überproduktion von Kaffeebohnen geführt. Denn da die weltweite Nachfrage relativ stabil geblieben ist und nur wenig seit Ende der 80er zunahm, hat der Produktionszuwachs eine massive Überproduktion von Kaffeebohnen bewirkt. Und Kolumbien ist im Gegenteil zu den USA, die ihre Landwirtschaft subventionieren, unfähig, die eignen Waren auf andere, willige Staaten abzuwälzen.

Unter den gegebenen Umständen sind Einschränkungen des Angebots nicht mehr vorhanden. Es existieren keine regulierenden Maßnahmen, um die Überproduktion des Kaffees in Kolumbien aufzuhalten. Die Folgen sind fatal, denn die Exporteinnahmen der multinationalen Unternehmen wachsen und die Reallöhne der Bauern nicht.

Da die kolumbianische Regierung diese neoliberalen Entwicklungen vollends begrüßt, steht ihr schuldhaftes Verhalten außer Frage. Trotzdem geben letztendlich weiterhin die industrialisierten Staaten, die multinationalen politischen Institutionen und Konzerne die Richtung und Geschwindigkeit der Globalisierung vor.

Kaffeebohnen sind bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts überwiegend ein Exportgut. Das Vertrauen auf die freien Märkte, die den Fluss des Kaffees vorgeben, war das kolumbianische Mantra in den Diskussionen um die Angebots- und Nachfrage-Wirtschaft. Die FNC hat die kolumbianischen Kaffeemärkte in der Geschichte immer mit einem Auge auf die industrialisierte Welt beaufsichtigt. Aber als die FNC die multinationalen Unternehmen die Produktionmaßstäbe setzen ließ, verlor sie die Kontrolle über den Kaffeehandel. In der Vergangenheit verließ sich die Kaffeeindustrie eher auf die regulierenden und Handelsentscheidungen der FNC als auf die Maßnahmen des Staates. Demzufolge kann man behaupten, dass die FNC seit ihrer Gründung zu Beginn des letzten Jahrhunderts als einen Art Marionettenstaat für tausende Bauern in Kolumbien verantwortlich war.

Die Märkte der Dritten Welt werden eher von transnationalen Konzernen und politischen Institutionen als von staatlichen Stellen geleitet. Die Entwicklungen wirtschaftlicher Aktivitäten über Grenzen, insbesondere über internationale Grenzen hinweg, höhlen die staatliche Autorität aus. Dies marginalisiert (an den Rand treiben, unbedeutend machen) wiederum den Staat und die FNC als wirtschaftliche EntscheidungsträgerInnen in der globalen Gemeinschaft.

Die neoliberale Wirtschaft ermutigt private Körperschaften, den Kapital- und Güterfluss zu diktieren. Dementsprechend sind sowohl Reichtum als auch Macht in die Hände privater Akteure übergegangen und dem Staat entzogen worden. Solche privaten Akteure entscheiden nun, wer sich am weltweiten Produktionsnetzwerk beteiligen darf und wer nicht. Im Fall Kolumbiens wurden der Staat und die FNC beständig unbedeutender, um den starken Marktkräften zu begegnen, als sie den privaten Akteuren den Kaffeefluss bestimmen ließen. Die negativen Auswirkungen haben jedoch schlussendlich die armen Kaffeegemeinden auf dem Land Kolumbiens zu bewältigen.

Während Staatenlosigkeit zu einem Charakteristikum dieser landwirtschaftlichen Bereiche geworden ist, wird stetig deutlicher, dass keine staatliche Behörde mehr diese kolumbianischen Kleinbauern vertritt. Denn es ist unwahrscheinlich, dass die Kaffeeproduktion wieder 50% der Gesamtexporte Kolumbiens ausmachen wird, solange sie ausschließlich den neoliberalen Kräften ausgesetzt ist. Insgesamt verkörpern multinationale Konzerne und private Akteure, und nicht Staaten oder lokale Behörden, die Stärke des neuen Marktes - ihre Souveränität kniet vor dem Kapitalismus.

Private Körperschaften werden weiterhin den Fluss des Kaffees auf Kosten der Bauern und der Armen kontrollieren, nur um noch mehr Gewinne für die Reichen zu erzielen. Alles in allem zeigt dies auf, dass die freie Marktwirtschaft so mächtig ist, dass sie einige Wenige begünstigt und den Rest erdrückt.


Josh Frank ist von Beruf Autor und lebt in New York. Seine Arbeiten sind im Left Turn Magazine, in Dissident Voice, bei Counterpunch, im Z Magazine u.v.a. erschienen. Kontakt unter. frank_joshua@hotmail.com

Quelle: ZNet Deutschland vom 03.03.2004. Übersetzt von: Christian Stache. Orginalartikel: “Coffee and State Authority in Colombia”

Weitere Hinweise:

> Kaffee. Was kümmert mich die Bohne? Über fair gehandelten, ökologisch angebauten Kaffee

> Fair einkaufen - Übersicht von Anbietern fair gehandelter sowie ökologischer Produkte

> Das TransFair-Siegel - Informationen zu Vergabekriterien und -verfahren

> TransFair - Verein zur Förderung des Handels mit der “Dritten Welt” e.V.

> Info-Kampagne: Fair feels good - Prinzip, Produkte und gesellschaftspolitische Hintergründe des Fairen Handels

Veröffentlicht am

06. März 2004

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