Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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“… mal ohne Angst vor Folgen schimpfen…”

Praxis mit Flüchtlingen und Asylsuchenden. Ein kleiner Einblick in tagesaktuelle Ereignisse.

Von Katrin Warnatzsch, Sozialer Friedensdienst, aus: Rundbrief des Lebenshaus vom März 2002


Weihnachten - eine Überraschung

Ein junger Algerier, den ich über viele Monate intensiv begleitet hatte, u.a. um seine schwere Traumatisierung in einer Einrichtung für Folterüberlebende für seine Asylgerichtsverhandlung zu dokumentieren, der außerdem für einige Monate im Lebenshaus mitgelebt hatte, besuchte mich ganz überraschend. “Hast du Zeit, nur eine Minute?” Viele Monate hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Er hat inzwischen eine feste Arbeitsstelle und sein Problem mit seinem Gedächtnis hindert ihn offensichtlich daran, länger Beziehungen aufrechtzuerhalten. Er überreichte mir eine bunte Tüte, aus einem Drogerieladen, mit lauter erlesenen Sälbchen und Wässerchen drin, alles für “die reife Haut”. Auch eine Kette, Ohrringe und Fingerring mußten sein. Dazu grinste er und hielt eine Rede auf deutsch: “Ich schenke dir das größte und schönste Auto, das es gibt, einen Ferrari natürlich oder einen Daimler mindestens, weißt du, leider hab’ ich das Geld nicht, aber diese Geschenke sind nichts, viel zu klein, eigentlich ist das dein Auto, das ich dir schenken will.” - Mein schönstes Weihnachtsgeschenk von den Flüchtlingen war das.

Gäste im Lebenshaus

Familie C. lebt nun seit Juni letzten Jahres mit uns im Lebenshaus. Ein vor etwas mehr als einem Jahr erkrankter, zwischenzeitlich schwerstbehinderter 4jähriger Junge und sein 6jähriges Schwesterchen haben uns in dieser Zeit immer wieder mit vielen erfreulichen Fortschritten überrascht, aber auch mit Fortschreiten der Krankheit des Jungen mit großer Sorge erfüllt. Das Zusammenleben mit der kurdischen Familie ist erfreulich angenehm und anregend. Es ist gelungen, dass die Familie durch vielerlei Unterstützung, die wir organisiert haben, eine regelmäßige Tagesstruktur einhalten kann, die sie entlastet und die sie auch unabhängig von uns als Kerngruppe machen soll. Der Wunsch, nun in einer eigenen Wohnung und ganz selbständig zu leben, ist erfreulich und wir werden dabei helfen, soweit es uns möglich ist. Übrigens: die deutschen Sprachkenntnisse im Zusammenleben zu erwerben, das ist ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt, der zur Verselbständigung beiträgt! Wohingegen ich gestehen muss, dass meine türkischen oder kurdischen Sprachkenntisse nicht angewachsen sind, eher schon meine Fähigkeit, in Bildern zu erklären….

Anfang des Jahres hatten wir im Lebenshaus zwei kleine Empfänge für die vielen Menschen, die beruflich und ehrenamtlich dazu beigetragen haben, dass es dem kleinen Ungen zur Zeit erfreulich gut geht. Die Eltern haben türkisch gekocht und Tee serviert. Es hat uns allen sehr gut getan, dass so viele unserer Einladung gefolgt sind. In einer kleinen Anzeige im örtlichen Amtsblatt haben wir uns ebenfalls bedankt.

Kinder in Not

In einer Blitzaktion hatten wir gerade für 9 Tage drei Flüchtlingskinder zusätzlich aufgenommen, die sich in akuter Notlage befanden, weil der Familie das Notwendigste zum Leben fehlte. Schon seit längerer Zeit fand eine intensive Betreuung und auch finanzielle Unterstützung statt. Jetzt hatte sich jedoch die Wohnsituation völlig zugespitzt. Inzwischen hat die Stadt Gammertingen eine Wohnung zur Verfügung gestellt.

Das Zusammenleben mit drei sehr bedürftigen Kindern im Alter zwischen 7 und 12 Jahren hat uns sehr gefordert. Im Lebenshaus haben zur Zeit wir für solche Probleme nicht genügend Platz. Diese Aufnahme betrachten wir als Ausnahmefall, der aus vielen spezifischen Gründen notwendig wurde, die sich offenbar aus Flüchtlingsschicksalen ergeben.

Sprachhilfen und “Deutsch als Fremdsprache” im Lebenshaus
Jede Woche kommen Flüchtlingskinder bis zu 3mal ins Lebenshaus, um sich durch mich in Lesen, Schreiben und Rechnen unterstützen zu lassen oder spielerisch mit der deutschen Sprache umzugehen.

In einer benachbarten Volkshochschule haben im letzten Semester zwei jugendliche Flüchtlinge angefangen, ihre Deutsch-Kenntnisse systematisch zu verbessern. Das nächste Semester hat nun angefangen und die vhs-Mitarbeiterin hat das Angebot gemacht, zu uns ins Lebenshaus zu kommen und sich gezielt den Flüchtlingen zu widmen.

Eine junge Flüchtlingsfrau, die schon recht gut deutsch spricht, besucht einen Intensivsprachkurs der vhs, um die Vorraussetzungen für eine Studienzulassung zu erarbeiten. Hier hat das Lebenshaus einen zinslosen Kredit für den Besuch der Kurse gegeben, der in ganz kleinen Raten zurückgezahlt wird.

Flüchtlinge haben in der Regel nur Anspruch auf einen staatlich finanzierten Sprachkurs, wenn sie nach dem deutschen Asylrecht anerkannt worden sind. Die lange Zeit des Wartens vor dieser Anerkennung können sie sinnvoll nutzen, indem sie sich der deutschen Sprache annähern. Dasselbe trifft auf die vielen Menschen zu, die mit einem anderen Aufenthaltsstatus hier sind. Sprachkurse, die etwas kosten, können aus finanziellen Gründen nur selten wahrgenommen werden. Das geringe Taschengeld der Flüchtlinge im Asylverfahren, die herabgesetzte Sozialhilfe oder auch geringes Einkommen, veranlassen uns zur Übernahme der Kosten für Sprachhilfen. Wir sehen die Erfolge der Teilnehmenden an den Kursen. Ihre Lernfähigkeit wird herausgefordert.

Heike Teufel bietet nun schon seit eineinhalb Jahren ehrenamtlich einen Deutschkurs für Anfänger im Lebenshaus an, an dem vor allem Frauen teilnehmen. Dabei geht es ganz lebenspraktisch zu. Anhand von selbst zusammengestelltem Material und den täglichen Begriffen, mit denen Mütter zu tun haben, ist eine Gruppe zusammen, die sich inzwischen ganz gut kennt.
Eine Alphabetisierung mit Flüchtlingen, die nie eine Schule besucht haben oder das lateinische Alphabet nicht kennen, bieten Hubert Rothfeld und Sabine Kallenberger ehrenamtlich an.

Der Ökumenische Arbeitskreis Asyl in Gammertingen trifft sich weiterhin ca. 3monatlich und ist eine Austauschmöglichkeit für SprachhelferInnen, die zum Teil auch in der Schule arbeiten, und für alle Interessierten.

Sprechzeiten des Sozialen Friedensdienstes

Nahezu täglich kommen Flüchtlinge zu mir ins Lebenshaus, mit für sie unlesbaren oder unverständlichen Briefen, mit Wünschen nach Telefonieren, mit Fragen wegen Gerichtsverhandlungen, mit belastenden familiären oder gesundheitlichen Problemen. Konflikte, die durch das erzwungen enge Zusammenleben in der Sammelunterkunft entstehen, mit Folgen des langen War-tens und Vertröstetwerdens auf amtliche Entscheidungen.

Eine Anlaufstelle zu haben, eben auch außerhalb des vorhandenen amtlichen Apparates, wo man mal ungefiltert und ohne Angst vor Folgen schimpfen kann, das ist wohl auch ein Effekt, den das Lebenshaus hat. Für mich heißt das, mit den mitgeteilten Konflikten der Menschen behutsam umzugehen, keine Ratschläge zu erteilen, sondern Grenzen zu ziehen, wo versucht wird, mich zu verwickeln, nur zuzuhören, einfach oft nur Last mitzutragen. Nachzufragen, wie es weitergeht, nicht zu vergessen.

Die vorhandenen amtlichen Vorgaben und der Behördenapparat, auf den die Flüchtlinge angewiesen sind, ist in seinen Auswirkungen auch für mich oft unerträglich. Wie soll man denn erklären, warum man hier auf so vieles so lange Warten muss. Wie soll man erfolgreich immer wieder um Geduld bitten, wo Anträge unverständlich lange ihren bürokratischen Weg gehen, unbesehen der Menschen, die dringend auf Antworten warten. Wie soll man dafür um Verständnis werben, dass Antworten in unserer modernen Zeit trotz Vorhandensein aller technischer Mittel auf dem vorgeschriebenen Weg viele Tage/Wochen/Monate dauern, bis sie dort ankommen, wo sie entschieden werden sollen oder umgekehrt, bis die Antwort endlich den Antragsteller erreicht.

Konflikte, Frustrationen, Depressionen und Erschöpfungszustände bei den Betroffenen sind die unmittelbare Folge dieser “Behandlung”. Grund dafür sind die vorhandenen bürokratischen und politischen Strukturen, die die Grenzen bezeichnen, innerhalb derer sich die Arbeit mit den Flüchtlingen bewegt.
Wir fühlen uns verpflichtet, da zu protestieren, wo nach unserem Eindruck die Mitmenschlichkeit auf der Strecke bleibt und politisch dafür einzustehen, dass unsere Gesetze und Vorschriften humaner werden. Und dass sich gesamtgesellschaftlich die Einstellung zu Fremden entscheidend verändert, denn wir glauben, dass uns die Anderen Neues bringen, das wir unbedingt für unsere gemeinsame Weiterentwicklung benötigen.

Flüchtlinge in Gammertingen machen gute Erfahrungen

Verschiedene Menschen versuchen nach ihren Möglichkeiten, Flüchtlingen das Leben hier zu erleichtern. Sie geben Kleidung und verwöhnen mit Geschenken, sie machen Besuche und holen Kinder und junge Leute regelmäßig zu Sportstunden ab, die der örtliche Sportverein kostenlos ermöglicht. Manchmal werden die Kinder zu Geburtstagen eingeladen oder können an besonderen Veranstaltungen teilnehmen, die für sie bezahlt und organisiert werden, wie z.B. ein Besuch im Zoo in Stuttgart oder im Zirkus. In den Schulen macht man sich Gedanken um gezielte Unterstützung und geeignete Unterrichtsformen. Elterngespräche finden statt. Bei den Ärzten gibt man sich erdenkliche Mühe, um zu verstehen und zu helfen. Einige junge Leute knüpfen Kontakte zu jungen Flüchtlingen in der Sammelunterkunft, es gibt Besuche und Einladungen, die Fremdsprachenkenntnisse werden dabei gleich angewendet. Ein Kind ist in der Hausaufgabenbetreuung des Kinderschutzbundes und erhält dort wesentliche Unterstüzung, hat damit strukturierte Nachmittage. Auch schon lange hier lebende Flüchtlinge, die seit Jahren integriert sind, jedoch auch einmal in der Sammelunterkunft gelebt haben, halten den Kontakt zu Menschen in der Unterkunft, können aus eigenen Erfahrungen und manchmal sogar in der gleichen Sprache erzählen. In einigen wenigen Fällen wurde sogar ein Arbeitsplatz gefunden.

Ich habe den Eindruck, dass die Flüchtlinge in unserer Umgebung gesehen und beachtet werden. Ich sehe, dass sie sich dadurch ernstgenommen fühlen, nicht einfach ausgegrenzt zu bleiben, weil sie schlechter wohnen und leben als Einheimische. Die Berührungspunkte sind natürlicherweise da, und sie werden zum Teil genutzt, um sich kennenzulernen und behilflich zu sein, sich sogar zu befreunden.

Das ist sehr erfreulich in unserer Stadt und es beschreibt, was es hier auch gibt, eine hilfsbereite Mitmenschlichkeit, die vor allem im Verborgenen wirkt. Angesichts einer insgesamt auf Abhaltung ausgerichteten Asylpolitik und einer auf Abschreckung zielenden Asylpraxis kann dies allerdings kaum mehr sein, als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Deshalb gilt es diesen Stein abzukühlen bzw. auszuhöhlen. Steter Tropfen höhlt den Stein…

Veröffentlicht am

10. März 2002

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